Räubermärchen – Über den Umgang mit den Räubern im eigenen Inneren
Die meisten Menschen sind mit Märchen groß geworden. Ich selbst habe als Kind eine Zeitlang alle Märchen gelesen, die mir unter die Finger kamen. Die Märchen boten die richtige Mischung an Unterhaltung, Grusel, Gerechtigkeit und Abenteuer. Die Märchen transportieren die Lebensweisheiten der Völker: dass man aufbrechen und suchen muss, in den jeweils richtigen Momenten mildtätig, mutig, vorsichtig oder trickreich sein muss, verzaubert und wieder erlöst werden kann usw.
In der Märchenforschung gibt es verschiedene Ansätze. Man kann Märchen aus ethnologischer, geschichtlicher, mythologischer oder psychologischer Sicht betrachten. Manche Märchen haben starke schamanische Elemente. Andere könnten unter Drogeneinfluss entstanden sein bzw. Drogenerlebnisse schildern. Eine Möglichkeit, Märchen zu betrachten, ist der Vergleich von Märchenhandlungen mit innerpsychischen Vorgängen. Ich persönlich finde diesen Zugang zum Märchen höchst interessant und bereichernd, zumal er ja der Arbeit mit Träumen sehr ähnelt.
Da der Rahmen eines Blogbeitrags eher begrenzt ist, werde ich hier nur Denkanstöße geben. Der heutige Denkanstoß ist den Räubern im Märchen gewidmet.
Räuber stehlen die Schätze anderer, anstatt sich eigene Schätze zu erarbeiten. Oft sind sie viele, haben einen Räuberhauptmann und leben zusammen an geheimen Orten, wie zum Beispiel in einem Waldhaus. Dort verprassen sie das Diebesgut und planen ihre nächsten Raubzüge. Und wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird, hören sie nicht auf. Räuber sind oft auch Mörder.
Wir können die Märchen symbolisch betrachten. Ein Räuber ist dann ein Aspekt in der eigenen Psyche, der uns die Kraft, den inneren Reichtum, vielleicht auch die Freude und Liebe raubt. Was könnte das sein? Ich mache ein paar Vorschläge: Süchte, Neid, sinnlose Machtkämpfe, Dinge ändern zu wollen, die nicht zu ändern sind, Paranoia, Perfektionismus usw. Vielleicht fallen Ihnen beim Lesen eigene „Räuber“ ein. Es ist wichtig, sie zu kennen, denn, wie schon erwähnt, rauben sie uns Kraft und Liebe.
Im „Räuberbräutigam“ (Grimms Märchen, KHM 40) wird das besonders krass geschildert. Hier sitzen die Räuber in einem Haus im Wald und verspeisen junge Frauen. Die junge Frau ist ebenfalls symbolisch zu sehen. Sie entspricht den fruchtbaren, kreativen, unschuldigen Aspekten der Psyche.
In „Ali Baba und die 40 Räuber“ (Märchen aus 1001 Nacht) holt sich Ali Baba einen kleinen Teil eines geraubten Schatzes zurück, aber durch viele Verwicklungen kommen ihm die Räuber auf die Spur und lassen keine Ruhe, bis sie besiegt sind – interessanterweise durch eine junge Frau.
In allen Märchen, die ich gefunden habe, in denen Räuber eine negative Rolle spielen, müssen diese besiegt werden. Meist spielt dabei eine List mit; anscheinend sind Räuber auch ein wenig dumm. Auch die „Bremer Stadtmusikanten“ vertreiben die Räuber mit einer List; sie schreien einfach laut und erschrecken die Räuber damit so sehr, dass diese davonlaufen. Vielleicht können uns diese vier wagemutigen Tiere ja ein Vorbild sein. Ich denke da eher an lautes, herzhaftes Lachen.
Gute Märcheninterpretationen finden Sie in Büchern von Verena Kast, Marie-Louise von Franz, Eugen Drewermann, Wilhelm Salber und anderen.
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