Das innere Kind
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht mit dem Begriff des inneren Kindes. Ich hatte jedenfalls lange keinen richtigen Zugang zu dieser Bezeichnung. Es erschien mir zu einfach, die vielen Vorgänge, die mit unseren frühkindlichen Prägungen zu tun haben, auf diesen Begriff zu reduzieren. Inzwischen habe ich meine Meinung geändert; vom inneren Kind zu sprechen ist weder banal noch widersprüchlich zu guter therapeutischer Arbeit. "Inneres Kind" fasst alle Gefühlsprägungen und Überzeugungen, die in der Kindheit entstanden sind, zusammen.
Einerseits
sind das Erfahrungen, die Urvertrauen gefördert haben und uns zuversichtlich und erfolgreich dem Leben gegenüber machen.
Andererseits
beinhaltet das "innere Kind" Prägungen aus der Kindheit, die uns verstört, erschreckt, verunsichert oder sogar traumatisiert haben. All diese Erfahrungen "inneres Kind" zu nennen, das hat doch etwas Praktisches und Zärtliches zugleich. Es ist eine Vereinfachung, aber eine sehr sinnvolle.
Genaugenommen gibt es verschiedene innere Kinder. Stefanie Stahl unterscheidet in ihrem Bestseller "Das Kind in dir muss Heimat finden" das Sonnen- und das Schattenkind. In der Voice Dialogue-Arbeit lernen wir im Laufe der Zeit sehr viel mehr Persönlichkeitsanteile kennen, die in der Kindheit entstanden sind. Manche dieser inneren Personen sind kindlich geblieben, andere konnten mitwachsen. Kindlich gebliebene Anteile sind z.B. ängstlich, verträumt, trotzig, energielos, einsam, langsam, verstört. Sehr junge innere Kinder können oft nur über Körpersymptome kennengelernt werden.
Während wir Karriere machen, eine Familie gründen oder uns sozial engagieren, bleibt das innere Kind im Hintergrund und verändert sich nicht. Das liegt zum großen Teil daran, wie das Erwachsenen-Ich mit den kindlichen Anteilen umgeht. Unterdrücken wir Erschöpfung, Trotz, Angst etc., werden sich diese Zustände langfristig nicht ändern. Sie bleiben unbewusst oder halb-bewusst. Und natürlich beeinflusst das, was uns nicht bewusst ist, unser Leben trotzdem ganz massiv. Wenn die Überzeugungen der Kindheit unbewusst bleiben, passiert es, dass wir unsere Weltbilder weitgehend aus dem Unbewussten konstruieren. Viele Menschen denken und fühlen, oder besser: sie "wissen" dann, dass im Leben z.B. das Recht des Stärkeren gilt, dass man selbst immer verlassen oder betrogen sein wird und dass die Zukunft der Menschheit..... (bitte selbst ausfüllen) ...... sein wird. Stellen Sie sich mal vor, welche Möglichkeitsräume sich öffnen können, wenn viele Menschen ihre negativen Weltbilder ändern!
Das innere Kind in der Psychotherapie
In der Psychotherapie geht es darum, das innere Kind wahrzunehmen und als liebevoller Erwachsener zu umsorgen, zu schützen und wachsen zu lassen. Ein ängstliches inneres Kind entspannt sich, wenn die Erwachsene ihm z.B. mitteilt, dass sie eine bestimmte Situation ändern wird. Der Kind-Anteil lernt mit der Zeit, dem Erwachsenen-Anteil zu vertrauen. Sehr verletzte innere Kinder brauchen für diesen Prozess viel Zeit. Eine Zeitlang übernimmt die Therapeutin Aufgaben dieses guten inneren Elternteils, später übt die Klientin bzw. der Klient dies selbst ein.
Wie können Sie mit Ihrem inneren Kind in Kontakt kommen?
1. Fragen Sie sich, ob Sie gerade ausgeglichen sind. Wenn ja, wunderbar. Wenn nein, woran merken Sie es? Essen Sie zu viel? Schimpfen Sie herum? Telefonieren Sie stundenlang? Haben Sie körperliche Beschwerden? Sie können davon ausgehen, dass hinter allem ein beunruhigtes inneres Kind steckt.
2. Fragen Sie sich, was Sie fühlen. Welche Gefühle könnten hinter der Hektik, dem Ärger, dem Essanfall stecken? Meist sind wir gut darin, unangenehme Gefühle zu unterdrücken und uns stattdessen abzulenken. Wenn Sie aber innehalten und in sich hineinspüren, werden Sie eine Gefühlsspur ausfindig machen. Akzeptieren Sie dieses Gefühl ganz und gar. Nehmen wir an, Sie stehen unter Leistungsdruck und machen Überstunden, um Ihr Pensum zu schaffen. Wo im Körper fühlen Sie diesen Druck? Kennen Sie dieses Körpergefühl von früher? Lassen Sie Bilder aufsteigen.
3. Geben Sie sich Wärme und Mitgefühl. Machen Sie sich Notizen. Sprechen Sie mit einer vertrauten Person darüber. Tun Sie sich etwas Gutes.
Ich wünsche Ihnen gute und liebevolle Begegnungen mit Ihrem inneren Kind!
Foto: Pexels.com
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