Voice Dialogue – was es nicht ist und was es ist 

Voice Dialogue ist in Deutschland nicht sehr verbreitet, was ich sehr bedaure, denn es ist eine von vielen wirksamen Methoden, die mit Teilpersönlichkeiten arbeiten, evtl. sogar die erste, die entwickelt wurde. Innerhalb der Methoden gibt es große Unterschiede, auch was die Anwendungsbreite und -tiefe betrifft, und man kann sie nicht vergleichen.

Welche anderen Methoden sind das?

Das „Innere Team“ – Modell von Friedemann Schulz von Thun arbeitet mit den Anteilen, die Entscheidungssituationen schwer machen. Diese Anteile werden befragt; dadurch werden Situationen geklärt.
Die Transaktionsanalyse von Eric Berne unterscheidet Erwachsenen-Ich, Eltern-Ich und Kindheits-Ich. In Konflikten wird gelernt, immer mehr in eine Erwachsenenkommunikation zu kommen. 
Auch die Schematherapie, eine Form der kognitiven Verhaltenstherapien, kennt innere Anteile. Dort werden sie Modi genannt.
In der Ego-State-Therapie geht es hauptsächlich um Traumabehandlung. Menschen, die infolge von Traumatisierung eine dissoziative Störung entwickelt haben, sind dort gut aufgehoben.

Worum geht es in Voice Dialogue?

Der ursprüngliche Voice-Dialogue-Ansatz arbeitet nicht in erster Linie mit Trauma. Für Traumaarbeit empfehle ich Conscious Body, eine Weiterentwicklung bzw. Spezialisierung innerhalb der Voice-Dialogue-Angebote. (1)
In Therapie- und Beratungsstunden wird meist über etwas gesprochen. Im Voice Dialogue geht es nicht vordergründig um das Erörtern von Situationen, sondern um das eigene Energiesystem, das in einer bestimmten Situation aktiv wird. Energiesystem? Ja. Wir können die unterschiedlichsten Teilpersönlichkeiten („Selbste“) auch als Energiesysteme bezeichnen. Diese Selbste sind energetisch spürbar. So ist es möglich, dass sich in einer Sitzung zuerst eine erschöpfte, unzufriedene Person zeigt, dann ein sehr warmherziger mütterlicher Teil und danach eine rationale kühlere Person. Alle drei fühlen sich komplett unterschiedlich an. Sie denken und entscheiden anders und ihr Kraftlevel ist verschieden. 
Um ein bisschen deutlicher zu machen, wie realistisch die energetische Verwandlung in ein anderes Teilselbst ist, zitiere ich hier die Stones, also die Gründer der Methode, selbst. Sie beschreiben in dem Artikel (2), wie sie Anfang der 70er Jahre begonnen haben, Voice Dialogue allmählich gemeinsam zu entdecken und zu entwickeln. Beide waren damals bereits ausgebildete Therapeuten und sie experimentierten gemeinsam mit Visualisierungstechniken.

„…… So erinnert sich Sidra an diese erste Erfahrung: Hal bat mich, zu einem anderen Platz zu gehen und die Verletzlichkeit zu werden. Ich wusste, dass dies richtig war. Ich vertraute ihm. Ich vertraute ihm so sehr, dass ich mich von der Couch herunter auf den Boden setzte und den Kopf auf den Kaffeetisch legte. In völliger Stille erlaubte ich mir, in meine Verletzlichkeit zu gehen, ich wurde tatsächlich zu jemand anderem. Ich wurde ein sehr kleines Kind, das die Welt auf neue Weise erfuhr. Da war totale Stille. Ich hatte die Empfindung, dass das „Ich“, das dort saß, sich während meines gesamten Lebens in einer Höhle versteckt gehalten hatte und dass dies das erste Mal war, dass es sich sicher fühlte hervorzukommen. Die Welt um mich herum veränderte sich, meine Wahrnehmungen wurden schärfer, Farben und Klänge waren anders, und ich konnte fühlen, dass Hals Energie einen Raum für mich hielt (obwohl wir erst Jahre später mehr über die Energetik von Beziehungen wussten). Dies war vollkommen fremd für mich. Ich war es gewohnt, die Welt in einer rationalen, vernünftigen und kontrollierten Weise zu erleben. …. Hal selbst war überwältigt von dieser Erfahrung. Er konnte fühlen, dass er in der Gegenwart eines Kindes war und er wusste, es war das Beste, nicht zu sprechen. Er war mit einem nonverbalen Kind – das Kind war real, und die Selbste waren real. Als Sidra ihren Platz auf dem Boden verließ und wieder auf das Sofa zurückkehrte in das, was wir später das Bewusste Ich nannten, saßen wir beide in Stille. Wir beide erkannten, dass etwas Bedeutsames geschehen war. Hal musste eine Woche darauf warten, dass Sidra sein Kind begleitete. Seine eigene Erfahrung war sehr tief, es war der Beginn von dem kleinen Harry, einer bis dahin unbekannten Größe in seinem Leben. Anstelle von Hal und Sidra, die gemeinsam forschten, waren nun vier von uns bei der Arbeit. Da waren Sidra und Lisa und Hal und der kleine Harry.“ 

 
Diesen Ausschnitt habe ich gewählt, weil er beschreibt, wie berührend dieses Erlebnis der Selbstentdeckung sein kann. Es ist eine wirkliche Bereicherung, Facetten von sich wiederzubeleben und zu verstehen. Es gibt natürlich nicht nur den Erwachsenen und das Kind. Die Stones entdeckten, dass jeder Mensch Hauptselbste (Primary Selves) und verdrängte/ verstoßene Selbste (Disowned Selves) hat. Verstoßene Selbste sind Energiemuster, die in der Vergangenheit bestraft/ ignoriert/ beschämt und deshalb von den Hauptselbsten unterdrückt wurden. Manche Kinder werden für ihr „Quengeln“ bestraft, für Weinen, für Neugierde, für ihren kindlichen Stolz, für ihre Sinnlichkeit etc. Aber auch ohne Bestrafung erlebt jedes Kind, dass bestimmtes Verhalten erwünscht ist und anderes Verhalten unterlassen/ unterdrückt werden soll. Diese Disowned Selves leben im Unbewussten weiter. Wenn wir Menschen begegnen, die unsere verstoßenen Energiemuster verkörpern, fühlen wir uns meist unbehaglich. Es sind unsere eigenen Schattenanteile, die wir dann in anderen Menschen ablehnen. 

Entwicklung, Wachstum

Auch als Erwachsene folgen wir meist den gleichen Entwicklungsschemata, die wir aus der Kindheit kennen: wir versuchen uns zu entwickeln, indem wir bestimmte Verhaltensweisen und Werte kultivieren. Die meisten Menschen erreichen allerdings einen Punkt, an dem diese zu starke Anpassung zu Problemen führt.
Voice Dialogue geht davon aus, dass Entwicklung dann geschieht, wenn wir uns unserer Energiemuster bewusster werden – der offen gelebten und der unterdrückten Muster. Diese Bewusstwerdung geschieht durch Erfahrung, durch die energetische Wahrnehmung 

der Muster. Dies macht Voice Dialogue nahezu anstrengungslos möglich. Einzige Voraussetzung ist die Bereitschaft, anzunehmen, wer man ist und zu erkennen, dass man nicht ausschließlich die Person ist, für die man sich bisher hielt. 
Die Integration dieser Erfahrungen geschieht durch den Aware-Ego-Process. Was wir üben ist Gewahrsein. Im Gewahrsein erkennen wir: Ich bin zwar das ängstliche, kritische oder traurige Selbst, gleichzeitig bin ich es aber NICHT. Ich bin diese verantwortungsvolle Person und bin sie nicht. In der Mitte des Geschehens ist Stille, ist leerer Raum. In diesem leeren Raum kommen wir zu einer erweiterten Perspektive auf uns selbst und die Welt. Im Laufe der Zeit gelingt es immer besser, auch im Alltag die Perspektive des Zeugen zu halten, also derjenigen Perspektive, die neutral-wohlwollend wahrnimmt, was geschieht und das undramatisch ändern kann. 

(1) Judith Hendin, The self behind the symptom. Kann bestellt werden bei www. ConsciousBody.com
(2) nachzulesen unter:  The basic elements of Voice Dialogue, relationship and the psychology of selves : their origins and development, https://voicedialogueinternational.com/readings 

Foto: Ule Mägdefrau

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